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Die Ehe für alle – Ausdruck wahrer Wertschätzung?


Serge Benhayon
 

Nun ist es also soweit: Die „Ehe für alle“ kommt ins Grundgesetz.

Das betrifft – wie der Name sagt – alle, nicht nur Lesben und Schwule. Und ich frage mich, ob ich nun Dankbarkeit empfinde über diese Wendung in der Geschichte?

Weil ich doch als schwul und in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebender Mann zu der Gruppe von Menschen gehören sollte, die voll des Lobes und der Komplimente für die Politiker sein sollte, die offen Stellung bezogen haben und mir ermöglichen, die eingetragene Lebenspartnerschaft nun in eine Ehe mit allen Rechten und Pflichten umzuwandeln – vor dem deutschen Gesetz!

Nein, da wären zunächst ein paar Fragen an die Politiker: Leben sie Gleichheit und Harmonie in ihren privaten und öffentlichen Leben und haben folglich den wahren Impuls und die wahre Autorität, diesen Wert auch als gesetzlichen Ausdruck zu verwurzeln?

(= energetische Integrität)

Mein Gefühl ist, dass es hier mehr um den Gewinn von Wählerstimmen und clevere Wahlkampfstrategien ging.

Ich kann durchaus einen bedeutenden Schritt deutscher Geschichte wertschätzen, der offensichtlich ein Wichtiger ist von Vielen auf dem Weg zu wahrer Gleichheit aller Menschen.

Aber wenn ich mit ganzem Herzen schaue, sehe ich mehr.

Auf der einen Seite sehe ich Regenbogen-Flaggen, das Symbol für Solidarität mit Lesben und Schwulen, es wird gefeiert und gejubelt, auf der anderen Seite jedoch ist der Haß im In- und Ausland, wird geschimpft über die Politiker und den „Verlust“ der alten kirchlichen Werte, des Sakraments der Ehe.

Die eine Gruppe erreicht das, für was sie gekämpft hat, zum Preis von Haß und Enttäuschung auf der anderen Seite.

Und dann wurde mir der Unterschied bewusst zwischen Dankbarkeit, Lob und Komplimenten – und wirklicher Wertschätzung.

 

​Bei Dankbarkeit, Lob und Komplimenten geht es um äußere Dinge, um Taten und Ergebnisse von Handlungen, Benotung, Vergleich, Medaillen, um sichtbare Ereignisse.

Bei Wertschätzung geht es vor allem um Präsenz (Bewusstheit) und das Innerste.

 

Als die Nachricht über die Gesetzes-Entscheidung eintraf, empfand ich Wertschätzung für die Liebe, die Michael und ich täglich leben und zeigen. Uns war bewusst, dass unser öffentlich gelebter Ausdruck von Liebe dazu beigetragen hat, dass es nun dieses Gesetz geben kann.

Diese Liebe ist nicht daran messbar, ob wir uns auf öffentlicher Straße küssen oder Händchen halten. Sondern daran, welche Qualität von Gleichheit wir im Innersten miteinander als Fundament teilen und wie stabil und kontinuierlich wir darin sind, diese Qualität zu wahren und zu vertiefen.

Das hat nichts mit Schwulsein zu tun!

Wir definieren uns nicht über unser Schwulsein. Wir sind einfach 2 Menschen, die eine außergewöhnlich harmonische Ehe führen – völlig unabhängig von einem Gesetz, welches uns dies erlauben würde.

Wertschätzung braucht nicht darauf zu warten, dass eine Handlung gelingt, eine Mission erfolgreich wäre oder eine Prüfung bestanden würde.

Das ist das Schöne, Einfache und Göttliche an wahrer Wertschätzung, sie kann empfunden werden als Präsenz in allem, was ich tue, mit jedem, der mir begegnet. Sie braucht keinen Erfolg, keinen Gewinn und auch kein erreichtes Ziel, ist keine Belohnung. Ich schätze meine Präsenz wert in dem was ich tue und mit jedem, der mir begegnet. Dieser Ausdruck von Selbst-Akzeptanz macht frei und unabhängig von den Geschicken der Geschichte, dem Äußeren.

Ich kann nicht die Verantwortung den Politikern übertragen, dass ich als schwuler Mann in der Gesellschaft wertgeschätzt würde. Und ein Gesetz wird solange nicht Ausdruck wahrer Wertschätzung sein, solange Schwule, Lesben, Frauen und andere „ungerecht“ behandelte Gruppen sich nicht auf diese tiefst-innere Weise zunächst selbst wertschätzen in ihrer Präsenz und ihrem Selbst-Verständnis.

 

Diese echte Wertschätzung – die bei mir selbst beginnt – bewahrt mich vor der Illusion, welche die Welt mir vorgaukeln will, wenn sich äußerlich etwas verändert. In dem Moment bleibe ich frei von der Euphorie der Gewinner und frei vom Schmerz der Verlierer.

 

Solange Politik ein Wettkampf ist und die Stärkeren und Mächtigeren über die Minderheiten gewinnen, erlebe ich keine Freude über einen Gewinn, bei dem es auch Verlierer gibt und erlaube mir zu sehen, wohin der Weg bisher wirklich geführt hat.

Solange „schwule Sau“ oder „Kampf-Lesbe“ noch Schimpfwörter auf Schulhöfen bleiben, möchte ich nicht feiern.

Wir Menschen geben uns schnell der Illusion hin, dass wir uns verbessern in einer linearen Entwicklung der Geschichte:

  • Ja, Homosexuelle werden – in Deutschland – nicht mehr in Gefängnissen gefoltert oder hingerichtet.

  • Frauen haben laut Gesetz in Deutschland die gleichen Rechte wie Männer.

  • Der Sklavenhandel wurde offiziell abgeschafft.

  • Und Menschen mit Behinderung erhalten Geld vom Staat und die besten Parkplätze!?

Aber wie wäre es, ehrlich zu werden?

  • Sind Schulhöfe und Social Media frei von den Verletzungen durch Mobbing? Ist das nicht immer noch öffentliche Folter?